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ORWO NP20

Analoge Fotografie - Schwarzweißnegativfilm

2018 © Thomas Gade


ORWO NP20 Film

Wir saßen im Garten und ich blätterte im neuesten Buch meines Gastgebers über Kambodscha. Darin beschrieb er eine Szene aus den 1990er Jahren mit Nikon F4 Kameras, die damals von den Korrespondenten genutzt wurden.  "Hast du deine alten Kameras noch?", fragte ich ihn. "Klar!" Er holte sie heraus und legte sie auf einen Liegestuhl. Drei arg verstaubte Nikons, zwei für Film und eine digitale, sowie eine PENTACON six TL Mittelformatkamera aus der ehemaligen DDR, die er wahrscheinlich nie benutzt hatte.

Unbelichteter ORWO NP 20 in der PENTACON six TL

Nach dem Öffnen der Rückwand entdeckten wir einen unbelichteten ORWO NP 20 Rollfilm. Der Papierstreifen war nicht zu der anderen Rolle herübergezogen worden und der Klebestreifen des Rollfilms war noch intakt. Dieser Film stammte aus der Zeit vor dem Fall der Mauer (1989) und war vermutlich weit über 30 Jahre alt.

War der Film noch in Ordnung? Funktionierte die Kamera nach all den Jahren? Wir probierten es aus. Nach einigen Minuten schien die Bedienung verständlich und der Film wurde korrekt eingefädelt und bis zur Markierung vorgespult. Ohne Belichtungsmesser galt der Spruch: "Sonne lacht, Blende acht." Dazu 1/125 Sekunde Belichtungszeit. Ein Stativ war verfügbar und der Rest einfach.

Motiv suchen, Kamera im richtigen Abstand hinstellen, die PENTACON six dem 120 mm Biometar Objektiv auf das Motiv richten, mit Blick durch die Lupe auf die Mattscheibe scharf stellen, Blende auf 8 einstellen und auslösen. Nur nach dem Transport des Films und gleichzeitigem Spannens des Verschlusses mit dem Schnellspannhebel, war ein Bild im Sucher zu sehen. Erfreulicherweise hatte die Kamera nicht die vielen Jahre mit gespanntem Verschluss im Regal gelegen, sonst hätte wahrscheinlich der Mechanismus an Spannkraft verloren. Aber so lief alles zackig und einwandfrei.

ORWO NP20 nach über 30 Jahren noch in Ordnung

Der Film wurde mit Kodak D76 (1+1 / 24°C / 7 Minuten) entwickelt. Währenddessen stieg die Spannung und die zusätzliche Zeit für das Fixierbad und die Wässerung stellte die Geduld auf die Probe. Nach einem Endbad mit Netzmittel wurde der Film zum Trocknen aufgehängt und konnte erstmals betrachtet werden. Keine Auffälligkeiten, die Kamera hatte ordentlich funktioniert und der Film sah gut aus. Nach dem Trocknen zeigte eine Betrachtung der Lupe keinerlei Schäden und auch die Scans sahen erstaunlich gut aus. Der über 30 Jahre alte Film unterschied sich nicht von frischer Ware.

Der ORWO NP20 bewältigte den Kontrastumfang bei Sonne mit dunklen Schatten sehr gut und zeigte auf allen Bildern von hellsten bis zu den dunkelsten Stellen angenehme Tonwerte. Für jedes Bild wurde die gleiche Einstellung gewählt, nämlich Blende 8 und 1/125 s Belichtungszeit. Ein Belichtungsmesser war nicht verfügbar und die Werte ergaben sich aus dem alten Fotografenspruch, "Sonne lacht, Blende acht". Er gilt für 21 Din / ISO 100 Filme. Der ORWO NP 20 hat eine Nennempfindlichkeit von 20 DIN / ISO 80, die sich praktisch kaum von 21 Din / ISO 100 unterscheidet. Es spricht für die Gutmütigkeit des ORWO NP20, dass bei gleicher Belichtungseinstellung alle Bilder etwas wurden.


20. 6. 2018. Orwo NP 20 mit PENTACON six TL und Biometar 120 mm belichtet.


Entwickelt in Kodak D76. 1+1 Verdünnung, 24° C, 7 Minuten

Entwicklungshinweise



Alte ORWO Filme noch brauchbar?

Nach drei Jahrzehnten kann man nicht voraussetzen, dass Filme noch brauchbar sind. Das hängt von diversen Faktoren ab, vor allem von den Lagerbedingungen während der Langzeit. Wärme und Feuchtigkeit sowie Chemikalien (Reinigungsmittel/Anstriche) können Zerstörungsprozesse mit irreversiblen Schäden in Gang setzen.

Farbfilme leiden früher darunter als Schwarzweißfilme und überdauern diese Zeitspanne nur im Kühlschrank oder besser noch tiefgefroren. Die Farbfilm aus dem ehemaligen Ostblock sind mit heutiger Entwicklungschemie meistens gar nicht zu verarbeiten. Aber Schwarzweißnegative werden weltweit mit den gleichen Chemikalien entwickelt, aus denen unterschiedliche Entwickler entstanden sind.

In Kleinanzeigen und auf eBay werden laufend alte ORWO-Filme angeboten. Oft zu Preisen, für die frische Ware erhältlich ist. Der Kauf ist dann nicht sinnvoll, weil vorab meistens nicht klar ist, ob die Ware schadhaft ist.

Andererseits sollte man preiswerte Angebot oder unerwartete Funde nicht ausschlagen, weil - wie in unserem Fall - die Filme noch gut sein können. Zu DDR-Zeiten wurden sie meistens in Zehnerpacks gekauft und davon gleich mehrere als Vorrat, weil man in der Ostzone mit Engpässen im Handel rechnen musste. Beim Erwerb eines solchen Vorrats stammen die Filme daher oft aus derselben Charge und die Entwicklung eines Films zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Zustand, der für alle gilt. Das erlaubt die Feststellung, ob diese Filme durch Schäden nur für experimentelle und künstlerische Fotos eingesetzt werden können oder ganz hinüber sind oder sich qualitativ noch nicht von frischer Ware unterscheiden. Für ein Zehnerpack mit ungewisser Qualität kann man 20 € riskieren. Taugen die Filme nichts mehr, ist der finanzielle Verlust zu verkraften und man kann sie immer noch zum Üben des Einspulens von Filmen in die Spirale einer Entwicklungsdose nutzen oder zum Testen einer Kamera.

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